Geschichte

Im Winter 1938/39 wurde das Motorschiff OBERHOFEN für die Schweizerische Landesausstellung
auf der Escher Wyss Werft in Zürich unter dem Namen ENTE gebaut, zusammen mit den Schiffen
MS TAUCHERLI, MS MÖVE und MS SCHWAN. Diese im wesentlichen baugleichen „Landi-Boote“ wurden eingesetzt für den Pendelverkehr auf dem Zürichsee zwischen dem rechts- und dem linksufrigen Ausstellungsgelände. Sie waren zugelassen für 200 Personen und haben während der Ausstellung zusammen mit dem 1934 gebauten MS ETZEL rd. fünf Millionen Fahrgäste befördert (Tagesmittel
rd. 30.000 Personen). Diese Boote gehörten zu den für die damalige Zeit fast revolutionären „sauberen Dieselmotor-Schiffen“, was angesichts der damals noch üblichen kohlegefeuerten Dampfschiffe eine gerechtfertigte Aussage war.

Nach der Landesausstellung wurde das MS ENTE von der BLS für den Betrieb auf dem Thunersee gekauft. Das bisher seitlich offene, nur mit einem Regen- und Sonnenschutz-Dach versehene Deck wurde bei der BLS im Mittschiffsbereich zu einer Kajüte ergänzt und mit einer Heizung wintertauglich gemacht. Das so ertüchtigte Schiff wurde auf den Namen OBERHOFEN umgetauft. 1952 wurde das ursprünglich als besonders modern konzipierte Ruderhaus mit den stark abgeschrägten Front- und Seitenfenstern durch eine Ausführung ersetzt, die mehr in den gestalterischen Zeitgeist der Dreissigerjahre passte.

1999 ging auf dem Thuner- und Brienzersee die Ära der kleinen öffentlich benutzbaren Motorschiffe
zu Ende. Vier dieser Schiffe wurden verkauft: MS OBERHOFEN, MS GUNTEN, MS HARDER und
MS ROTHORN, alle mit der vertraglichen Verpflichtung, dass sie nie wieder auf die Oberländer Seen zurück kehren dürfen. Das MS NIESEN konnte zum Glück bleiben. Es wurde zum Werkstattschiff umgebaut, kann somit aber nicht mehr von der Bevölkerung genutzt werden.

Grund für dieses „Grosse Aufräumen“ war der Wunsch des damaligen für die Schiffsflotte verantwortlichen BLS Aufsichtsrats-Vorsitzenden Matthias Tromp, die Anzahl der Schiffe zu reduzieren, um bei seinen Vorstandskollegen und insbesondere beim Kanton als Geldgeber eine Legitimation für
den Neubau des Konferenzschiffes MS SCHILTHORN zu haben.

So wurde die OBERHOFEN nach Amsterdam verkauft. Der neue Schiffseigner Riks Noormann taufte es auf VRIENDSCHAP (FREUNDSCHAFT) um. 2013 wurde es dann von Noormann im Internet wieder zum Verkauf angeboten.

  • MS VRIENDSCHAP unterwegs im Umfeld von Amsterdam

  • MS OBERHOFEN 2013 zurück in Thun

  • MS OBERHOFEN wird zurück in das Thuner Hafenbeckeneingewassert 14. November 2013

  • MS OBERHOFEN zurück an der Ländte Oberhofen 2. Mai 2014

Es kam zum Glücksfall. Kurt und Ursula Matter aus Oberhofen erklärten sich bereit, das Schiff für den Thunersee zurück zu kaufen. Rolf Lemberg und Gerhard Schmid gründeten die „Interessen-Gemeinschaft MS OBERHOFEN“, überzeugten den damaligen Leiter des BLS-Schiffsbetriebes Hans Meiner zur Übernahme des von Matters geschenkten Schiffes in die BLS-Flotte und sammelten das erforderliche Geld für die Transportkosten von Amsterdam nach Thun. Der damalige Werftleiter des Thunersees Stefan Wiedmer organisierte die Rückführung und Wiederinbetriebnahme auf dem Thunersee.

Unter grossem Jubel der Thuner Bevölkerung und unter den Klängen der Selve-Blaskapelle wurde die OBERHOFEN von zwei Autokränen zurück in das Thuner Hafenbecken gehievt.

Der Empfang durch die Thunersee-Bevölkerung war grossartig. Riesig war die Freude, als das kleine liebenswerte Schiff wieder aus Holland zurückgebracht wurde!

Auf Initiative des Berner Heimatschutzes wurde 2021 von der Kantonalen Denkmaipflege festgestellt, dass die OBERHOFEN in das Inventar der geschützten Kulturgüter des Kantons Bern eingetragen werden kann. Die OBERHOFEN ist damit das einzige Motorschiff in der Schweiz, das in den Kulturgüterschutz eingestuft wurde. Ziel bei dieser Unterschutzstellung ist, den Erhalt dieses Schiffes zu gewährleisten, es vor historisch unreflektierten Umbauten zu bewahren und um denkmalpflegerisch fachgerechte Restaurierungen zu unterstützen, die durch Beiträge der öffentlichen Hand gefördert werden können.

Wegen seiner gelungenen Gestaltung, des weitgehend erhaltenen Originalzustandes und insbesondere angesichts seiner ursprünglichen und besonderen Schiffstechnik ist es ein einzigartiger Zeitzeuge der ersten schweizerischen Motorschiffe aus den 1930er-Jahren. Darüber hinaus ist das „OBERHOFERLI“ – wie es liebevoll genannt wird - seit 80 Jahren ein vielbeachtetes, in der Bevölkerung beliebtes Schiff auf dem Thunersee und eines der historischen Symbole für den Tourismus in dieser Region.

Die technische Besonderheit auf der OBERHOFEN ist der hydraulisch verstellbare Propeller,
der erfreulicherweise heute noch vorhanden ist. Entwickelt wurde diese auch Wendepropeller genannte Schiffsschraube von dem Hydrodynamiker Jakob Ackeret für das MS ETZEL. Diese technische Besonderheit kam später auf vielen Motorschiffen zum Einsatz. Heute werden Verstellpropeller leider durch starre Propeller ersetzt, weil die Schiffseigner – von einer stetigen Erneuerungsstrategie getrieben – die Bedeutung dieser raffinierten Lösung verkennen. Dort wo der verstellbare Propeller noch erhalten geblieben ist, ist er zur Rarität geworden.

Die Vorteile: Bei gleich bleibender Motordrehzahl wird durch das stufenlose Verstellen des Neigungswinkels der Propellerflügel der Schub des Schiffes von voraus auf zurück, von schnell auf langsam oder stopp gestellt. Die Manöver sind präziser, „feinfühliger“ und vor allem maschinenschonender als die der jetzt üblichen starren Propeller.

  • Länge über alles

    Tiefgang beladen

    Tragkraft

    Besatzung

    Motor

    Hersteller

    Leistung

    Verbrauch

    Propeller

  • 25,83 m

    1,45 m

    1938/39

    200 Pers.

    2 Mann

    1. Motor
    Sulzer
    Diesel RKW


    180 PS

    1,43 l/km

    Escher Wyss
    Verstellpropeller

  • Breite über alles

    Verdrängung leer

    2. Motor

    General Motors

    Diesel Typ 6-71

    170 PS/127 kW

    1.41 l/km

    Querstrahlruder

  • 4,73 m

    35 t

    1940

    155 Pers.

    2 Mann

    Je 18 kW
    Bug u. Heck

  • Seitenhöhe Rumpf

    Verdräng.
    beladen

    Geschwindigkeit

    Anzahl Schotter

  • 1,70 m

    ㅤㅤ

    45 t

    2013

    80 Pers.

    2 Mann

    20 km/h

    10

Verstellpropeller

Verstellpropeller MS OBERHOFEN

Kajüte MS OBERHOFEN

Galerie und Vorschiff MS OBERHOFEN

Bis Ende 2021 war die OBERHOFEN für private Extrafahrten im Einsatz. Zugelassen ist sie für
80 Personen. Es hat die richtige Grösse und Räumlichkeiten für solche Anlässe. Finanziell lag es als einziges Schiff der BLS-Flotte für Privatleute gerade noch in einem vernünftigen Rahmen.

„Um effizienter zu werden“, wurde Anfang 2022 der Schiffsbetrieb aus der BLS gelöst und in eine neue Tochtergesellschaft ausgelagert. Die Schiffsflotte wurde und soll noch wesentlich verkleinert werden.
Das MS BERN wurde 2021 verschrottet. Das MS NIEDERHORN und das MS ISELTWALD sollen verkauft oder ebenfalls verschrottet werden. Als Ersatz ist ein Schiffsneubau geplant. Auch die OBERHOFEN fiel dieser Reduktionsmassnahme zum Opfer und wurde dem Ehepaar Kurt und Ursula Matter zurück- gegeben.

Die IG MS OBERHOFEN hat sich erneut darum bemüht, dass das Schiff auf dem Thunersee bleibt und die OBERHOFEN weiterhin der Bevölkerung für Charterfahrten zur Verfügung steht. Für das Chartern der OBERHOFEN gibt es einen erfreulichen Bedarf. Vor der Coronazeit wurde das Schiff 60 bis 80 mal im Jahr von Privatleuten gemietet.

Hauptproblem für die IG MS OBERHOFEN war, einen neuen Liegeplatz - „Anbindestelle“ - wie es im Juristendeutsch heisst - für die OBERHOFEN zu finden. Ohne einen solchen Liegeplatz wäre es aussichtslos gewesen, einen Sponsor oder neuen Schiffseigner zu finden. Erfreulicherweise hat die BLS hierfür die Hofstetten-Ländte angeboten, die ausgezeichnete Voraussetzungen hat.

Nicht nachvollziehbar war allerdings, dass ausgerechnet aus Sicht der Thuner Behörden (2 von 10 involvierten kantonalen Amtsstellen) eine Nutzung dieser Ländte als Liegeplatz („Anbindestelle“) nicht genehmigungsfähig sei. „Ein Liegeplatz wird aus städtebaulicher Sicht klar abgelehnt“. Erstaunlich ist, dass die Stadt aber gleichzeitig mit dem Slogan: „Die Stadt am Wasser“ wirbt!

Es war nicht nur das Ortsbild, das nach Meinung der Stadtbehörden gestört wird. Auch die Fahrradfahrer auf dem Aare Quai würden durch die ein- und aussteigenden Fahrgäste gestört und es seien zu wenig Parkplätze vorhanden - trotz eines meistens halb leer stehenden Casino-Parkhauses in der unmittelbaren Nachbarschaft.

Ein erneut von der IG MS OBERHOFEN an den Gemeinderat der Stadt Thun eingereichtes Gesuch wurde wieder negativ beantwortet. Die Stellungnahme der Stadt gipfelte dann in der Forderung, der neue Eigentümer der OBERHOFEN solle 80.000,00 CHF auf einem Sperrkonto deponieren für den Fall, dass irgendwann einmal das Schiff verschrottet werden müsse.

Nach dieser überraschenden Forderung hat die IG die Stadt beruhigt, dass sie hier gar nichts zu entscheiden brauche. Denn die Duckdalben der Hofstetten-Ländte an denen das Schiff angebunden werden soll, gehörten der BLS-Schifffahrt. Diese ständen auf kantonalem Grund und nicht auf städtischen Grund und die BLS habe dem neuen Eigentümer die Erlaubnis erteilt, das Schiff an diesen Duckdalben anzubinden.

Mit dieser Klärung wurde die Voraussetzung geschaffen, dass die OBERHOFEN auf dem Thunersee bleiben kann. Im März 2023 wurde dann das Ziel der IG MS OBERHOFEN, das Schiff auf dem Thunersee zu halten, erreicht. Zwei Lokal-Politiker, Philipp Deriaz und Marco Berger, haben die Berner Oberland Charterschiff AG gegründet. Die BLS-Schifffahrt hat die OBERHOFEN zurück an das Ehepaar Kurt und Ursula Matter gegeben und diese schenkten es gleich der neuen AG weiter.

Jetzt liegt das Schiff an der Hofstetten-Ländte. Im nächsten Jahr soll es dann der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung stehen. Vorher müssen noch verschiedene Reparaturen durch den bisherigen Eigner
BLS Schifffahrt und den neuen Eigner Berner Oberland Charterschiff AG erfolgen.